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»Waren sie echt? War sie echt?« wiederholte er, mir ins Wort
fallend, sich nicht ablenken lassend. »Was haben Sie sonst
noch gesehn?«
»Was sonst noch? Gibt es noch was? Wissen Sie was?« sagte
ich leiser, auf ihn eingehend jetzt.
Er schüttelte den Kopf, ratlos.
»Die ganzen Tage, die Sie mich nun kennen«, sagte ich,
»habe ich am Ufer des Flusses gestanden und auf meinen
Anruf gewartet. Ich warte auf jemanden, der mir zeigt, wie ich
hinüberkomme. Jede Minute eines jeden Tages bin ich hier und
warte. Das ist es, was ich sonst noch sehe. Sehen Sie es auch?«
Er sagte nichts.
»Ins Krankenhaus will ich nicht zurück, weil sie mich da
einschläfern werden. Das ist der Ausdruck, den man für Tiere
verwendet, aus Freundlichkeit, aber man kann ihn ebenso auch
für Menschen verwenden. Sie schläfern mich ein in einen
Schlaf ohne Träume. Sie füttern mich mit Alraune, bis ich
schläfrig werde und in den Fluß falle und ertrinke und
fortgeschwemmt werde. So werde ich nie hinüberkommen.
Das darf ich nicht geschehen lassen. Ich bin schon zu weit
gekommen. Ich kann mir nicht die Augen schließen lassen.«
»Was wollen Sie denn sehn?« sagte Vercueil.
»Ich will sehn, wer Sie wirklich sind.«
Etwas allzu bescheiden zuckte er mit den Achseln. »Wer bin
ich schon?«
»Bloß ein Mensch. Ein Mensch, der kam, ohne eingeladen zu
sein. Mehr kann ich noch nicht sagen. Können Sie?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Wenn Sie etwas für mich tun wollen«, sagte ich, »können
Sie die Antenne für das Radio reparieren.«
»Soll ich statt dessen nicht besser den Fernseher hochholen?«
»Fernsehn schlägt mir auf den Magen. Es macht mich
krank.«
»Fernsehn kann Sie nicht krank machen. Das sind doch bloß
Bilder.«
»So etwas gibt es nicht bloß Bilder. Es stehen Männer
hinter den Bildern. Die senden ihre Bilder, um die Leute krank
zu machen. Sie wissen, wovon ich spreche.«
»Bilder können Sie nicht krank machen.«
Manchmal tut er das: widerspricht mir, provoziert mich,
stichelt und wartet auf Anzeichen von Verärgerung. Das ist
seine Art, mich zu necken, so plump, so reizlos, daß ich
wirklich gerührt bin.
»Bringen Sie die Antenne in Ordnung, bitte, das ist alles, was
ich möchte.«
Er ging nach unten. Minuten später kam er mit dem
Fernseher in den Armen heraufgestapft. Er stöpselte ihn ein,
gegenüber dem Bett, schaltete ihn an, fummelte mit der
Antenne herum, trat beiseite. Es war Nachmittag. Vor blauem
Himmel wehte eine Fahne. Eine Blaskapelle spielte die
Nationalhymne.
»Schalten Sie das aus«, sagte ich.
Er drehte den Ton lauter.
»Ausschalten!« schrie ich.
Er fuhr herum, nahm meinen zornigen Blick auf. Dann, zu
meiner Überraschung, begann er mit ein paar Schleifschritten
die Hüften zu schwenken. Mit ausgestreckten Armen,
schnippenden Fingern tanzte er, tanzte unmißverständlich zu
Musik, zu der zu tanzen ich nie für möglich gehalten hatte.
Sein Mund formte auch Worte. Was für Worte? Sicher nicht
die Worte, die ich kannte.
»Aus!« schrie ich wieder.
Eine alte Frau, zahnlos, wutentbrannt: Ich muß einen schönen
Anblick geboten haben. Er drehte den Ton leiser.
»Aus!«
Er schaltete den Fernseher aus. »Regen Sie sich nicht so auf«,
murmelte er.
»Dann seien Sie nicht albern, Vercueil. Und machen Sie sich
nicht lustig über mich. Ich will ernstgenommen werden.«
»Trotzdem, warum gleich hochgehn?«
»Weil ich Angst habe, zur Hölle zu fahren und mir in alle
Ewigkeit Die Stem anhören zu müssen.«
Er schüttelte den Kopf. »Keine Sorge«, sagte er, »alles wird
enden. Nur Geduld.«
»Ich habe keine Zeit für Geduld. Sie haben vielleicht Zeit,
aber ich nicht.«
Wieder schüttelte er den Kopf. »Vielleicht haben auch Sie
noch Zeit«, flüsterte er und grinste mich mit seinen langen
Zähnen von der Seite an.
Für einen Augenblick war es, als ob der Himmel sich öffnete
und strahlendes Licht herabfiele. Nach einem Leben voll
schlechter Nachrichten hungrig auf gute Nachrichten, konnte
ich nicht anders, ich mußte zurücklächeln. »Wirklich?« sagte
ich. Er nickte. Wie zwei Narren grinsten wir einander an.
Einladend schnippte er mit den Fingern; tapsig wie ein Tölpel,
nur Federn und Knochen, wiederholte er einen Schritt seines
Tanzes. Dann ging er hinaus, stieg die Leiter zum Boden
hinauf und flickte das gebrochene Kabel, und ich hatte wieder
Radioempfang.
Aber was gab es zu hören? Die Ätherwellen heutzutage so
berstend voll von Nationen, die ihre Waren verhökern, daß die
Musik fast zerquetscht wird. Ich schlief ein bei An American in
Paris und erwachte bei einem steten Prasseln von
Morsezeichen. Wo kam es her? Von einem Schiff auf See?
Von irgendeinem altmodischen Dampfer, der zwischen Walvis
Bay und Ascension Island pendelte? Die Punkte und Striche
folgten einander ohne Hast, ohne Stottern, in einem Strom, der
ewig weiterzufließen versprach. Was war ihre Botschaft? War
sie wichtig? Ihr Prasseln, wie Regen, ein Regen der
Bedeutung, tröstete mich, machte die Nacht erträglich, wie ich
da so lag und wartete, bis die Stunde sich rundete für die
nächste Pille.
Ich sage, ich möchte nicht eingeschläfert werden. Die
Wahrheit ist, daß ich ohne Schlaf nicht durchhalten kann. Was
immer es sonst noch bringt, zumindest Schlaf bringt das
Diconal; oder ein Trugbild von Schlaf. Wenn der Schmerz
weicht, wenn die Zeit schneller vergeht, wenn der Horizont
sich hebt, kann meine wie ein Brennglas auf den Schmerz
konzentrierte Aufmerksamkeit für eine Weile nachlassen; ich
kann Atem schöpfen, die geballten Fäuste öffnen, die Beine
ausstrecken. Bedanke dich für diese Gnade, sage ich zu mir:
für die Betäubung des kranken Körpers, für die schläfrige
Seele, die, halb aus ihrer Hülle, zu schweben beginnt.
Aber die Erholung währt niemals lange. Wolken ziehen auf,
Gedanken fangen an, Knäuel zu bilden, das dichte, zornige
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